In einem ausführlichen Experteninterview erläutert Ralph Hünermann, Gründer und CEO der odoscope Technologies AG, die Potenziale und Herausforderungen des Einsatzes von Operational Intelligence.

Ralph Hünermann

Ralph Hünermann

Die Nutzung von Daten zur Optimierung von Geschäftsprozessen ist ein wichtiger Erfolgstreiber für Unternehmen. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff Operational Intelligence diskutiert. Können Sie uns erläutern, was darunter zu verstehen ist?

Operational Intelligence (OI) verstehen wir als die konsequente Fortentwicklung von Business Intelligence (BI). Die noch recht junge Technologie löst den derzeitigen Analyse-Engpass, indem sie es ermöglicht, riesige Datenmengen unterschiedlichen Formats (Big Data) automatisiert zu nützlichem Wissen zu verarbeiten: Dabei werden Unternehmensdaten aus sämtlichen internen und externen Quellen in einer Plattform zusammengeführt und mittels Korrelationsanalysen ausgewertet. Aus der Kombination aller vorhandenen Daten lassen sich völlig neue, gewinnbringende Erkenntnisse ziehen: werden z.B. Kundendaten aus Social Media, E-Mail-Rückfragen und Bewertungen kombiniert, lässt sich nützliches Wissen über die Wahrnehmung eines Produkts generieren.
Das OI-System überwacht alle Business-Prozesse kontinuierlich und reichert die daraus gewonnenen Live-Informationen mit historischen Analysedaten an. Mithilfe von In-Memory-Datenbanken findet dieser Analyse- und Verarbeitungsprozess in wenigen Millisekunden (Echtzeit) statt, sodass die Ergebnisse „on the fly“ in operative Prozesse integriert werden können. Anschließend überwacht das System die Reaktionen auf bzw. die Ergebnisse von der Integration und passt sie dementsprechend weiter an. Da sich dieses Vorgehen ständig wiederholt (closed loop), lernt das System selbstständig kontinuierlich hinzu (machine learning) und kann seine Ergebnisse immer weiter verfeinern. Weil das menschliche Zutun dabei nicht mehr notwendig ist, sondern alles automatisiert verläuft, kann OI dem aufsteigenden Fachkräftemangel an Data Scientists und Analysten erfolgreich begegnen und ermöglicht eine automatisierte, intelligente Big Data-Analyse, die sogar Marketer oder UX-Teams selbst durchführen können.

Können Sie uns einige konkrete Einsatzzwecke von Operational Intelligence nennen? Welche Potenziale gibt es beispielsweise im E-Commerce?

Grundsätzlich kann OI überall dort eingesetzt werden, wo viele Daten erhoben werden: im Payment-Bereich zum Beispiel. Hier kann mit OI das Betrugsrisiko deutlich minimiert werden. In produzierenden Gewerben und in der Industrie, wo so viele Daten wie noch nie erfasst und in Bezug zueinander gesetzt werden können. Prozesse können mit OI viel schneller optimiert bzw. völlig neu etabliert werden. Oder im HR-Bereich: durch das Zusammenführen von Daten aus den Bewerbungsunterlagen, Bewerbungsgesprächen sowie Testverfahren sind im Recruiting neue Auswahl- bzw. Bewertungsprozesse denkbar. Der perfekte Kandidat kann so ggf. schneller und besser gefunden werden.
Und nicht zuletzt der E-Commerce: Durch die Erfassung und die OI-spezifischen Verwertungsmethoden von all den zur Verfügung stehenden Daten wie Surf- und Klickverhalten, gekaufte Produkte, gesehene Artikel, Verweildauer, Lokation, soziodemografische Daten u.a. – Hier stehen wir aus meiner Sicht erst am Anfang der passgenauen Ansprache eines jeden Nutzers bzw. Kunden, die schon bald dem persönlichen und empathischen Verkaufsgespräch mit einem stationären Verkäufer gleichkommen wird. Ganz im Sinne des „Me-Commerce“ sehe ich, dass schon ganz bald jeder einzelne Kunde seinen persönlichen Shop bekommt: individueller Seitenaufbau, individuelle Farben, individuelle Produkte etc. Und das Ganze natürlich Device-übergreifend, so dass der Nutzer bei jedem möglichen Kontakt mit dem Unternehmen eine höchst optimierte Customer Experience erfährt.

Wie können insbesondere digitale Dialogkanäle, wie das E-Mail Marketing, von Operational Intelligence profitieren? Wo sind hier die Schnittmengen?

Durch die Integration von Daten bspw. aus Customer Relation Management-Systemen, Social Media-Kanälen und Produktdatenbanken können Unternehmen über das E-Mail-Marketing noch gezielter auf den Endkunden zugehen. Mit Blick auf den Customer Life Cycle kann der Shopbetreiber passend zu jeder einzelnen Phase: Interessent – Lead – Neukunde – Kunde – begeisterter Stammkunde mit der richtigen Werbebotschaft bzw. mit dem richtigen Angebot den Kontakt auf- und ausbauen.
Das kann zum Beispiel so aussehen, dass das OI-System im Moment des Öffnens des Newsletters entscheidet, welches Bild ein Interessent, der Neukunde oder der Bestandskunde angezeigt bekommen soll; dies angepasst daran, wann, wo und mit welchem Device dieser den Newsletter öffnet. Das OI-System ist in der Lage, auf Situationen einzugehen bzw. diese zu berücksichtigen, die erst nach dem Versand des Newsletters entstanden sind. Ein Beispiel: Der Newsletter eines Elektrohändlers wird am Mittwochmorgen versandt, aber von Empfänger xy erst am Samstag geöffnet. In der Zwischenzeit hat sich der Newsletter-Empfänger nach einer bestimmten Küchenmaschine online informiert. Das OI-System nutzt dieses Wissen und entscheidet beim Öffnen des Newsletters, welche Bilder und Angebote – passend zum gesuchten Gerät – angezeigt werden. Wir Kunden sind alle unterschiedlich und haben unsere eigenen Interessen und Gefühle. Warum sollen wir also alle mit einheitlichen Botschaften und Bildern angesprochen werden?
Die Technologie von OI bietet hier den großen Vorteil, dass alle denkbaren Daten in einer Plattform integriert, d.h. zusammengefasst werden können. Somit erhalten Unternehmen einen Panoramablick auf ihre Kunden und können deren Interessen und Kaufabsichten besser einschätzen und hierauf entsprechend reagieren: durch die passende Werbung, die richtigen Produktempfehlungen, die Wiederbelebung von Kaufabbrüchen u.a.

Welche Herausforderungen sehen Sie für Unternehmen, die auf Operational Intelligence setzen bzw. auch generell im Kontext von Big Data Analytics?

Unternehmen müssen umdenken. Bislang wurde Unternehmensentitäten-bezogen analysiert, d.h. Business Prozesse wurden zwar analysiert, die Ergebnisse jedoch wurden in Silos gehalten. Zwischen den einzelnen Unternehmenseinheiten oder den unterschiedlichen Abteilungen gab es keinen oder zu wenig Austausch. Künftig werden jedoch alle Unternehmensaktivitäten abhängig von der Analyse bzw. Echtzeit-Verarbeitung sein. D.h. die Analyse steht im Mittelpunkt aller Unternehmensaktivitäten, die sodann besser miteinander verzahnt werden können. Die Effizienz von Unternehmensmaßnahmen wird hiervon positiv beeinflusst werden und Entscheidungen können schneller und besser getroffen werden. Ganz vereinfacht gesagt weiß die linke Hand dann, was die rechte tut und umgekehrt.

In der Diskussion um Big Data spielt auch das Thema Datenschutz eine wichtige Rolle, das neben einer rechtlichen und technischen auch eine gefühlte Dimension (beim Nutzer) hat. Was müssen Unternehmen tun, um das Vertrauen der Nutzer zu gewinnen?

Zum Einen müssen sie selbstverständlich den EU-Richtlinien des Datenschutzes entsprechen und dieses an den Nutzer kommunizieren. Wir bei odoscope bspw. arbeiten ausschließlich mit deutschen Datencentern zusammen und wissen, dass die von uns erfassten Daten sicher sind. Zudem erfassen wir ausschließlich anonymisierte Daten, d.h. wir wissen nicht, dass es um Frau Anne Müller, 35 Jahre, wohnhaft in der Luisenstraße 33 in München geht. Was wir wissen bzw. aus den Daten ziehen können, ist: eine Frau zwischen 30-40 Jahren, aus München, nutzt ein iPad und shoppt gerne nach 20 Uhr. Für uns ist der Datenschutz sehr wichtig, denn wir wollen den Nutzer nicht „verfolgen“, sondern ihm die bestmögliche Customer Experience bieten.

Über Dr.-Ing. Ralph Hünermann

Dr.-Ing. Ralph Hünermann ist Gründer und CEO der odoscope Technologies AG. Nach dem Studium der Elektrotechnik an der RWTH Aachen promovierte er im Bereich der Neuroinformatik über lernende Systeme. Er ist seit mehr als 20 Jahren als Unternehmer im Bereich Daten-Analyse und Internet tätig und hat dabei auch über 10 Jahre eine Webagentur mit technischem und analytischem Schwerpunkt geführt. Seit 8 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit der Echtzeit-Analyse von großen Datenmengen und deren Anwendungen.
Weitere Informationen unter: www.odoscope.de