In einem Gastbeitrag zeigt Jennifer Graßmann von Online Marketing Aktuell die Chancen und Herausforderungen von Marketing Automation auf.

Jennifer Graßmann

Jennifer Graßmann


 
Können Sie sich noch an die Zeit erinnern, als die Anreicherung von Dialogmarketingdaten mit Vornamen und das Clustern nach Postleitzahlen als Königsdisziplin des Dialogmarketings galten? Zugegeben, wenn überhaupt dann nur noch sehr vage.
Viel zu viel ist seither im Dialogmarketing, und hier insbesondere im Online-Dialogmarketing passiert. Big data ist das, was unter uns Dialogmarketern lange als das Paradies galt. Daten haben wir nun – in Hülle und Fülle. Denn auf der einen Seite ermöglichen uns neue Technologien Daten zu generieren, zu sammeln und zu verarbeiten. Auf der anderen Seite hat sich auch die Datenmenge, die jeder Nutzer (per PC, Tablet oder Smartphone) im Internet hinterlässt, vervielfacht. Nicht zu vergessen jene Daten, die Nutzer in unzähligen sozialen Netzwerken aktiv von sich erzählen.

Dschungelfieber durch Big Data?

Wenn man sich das Paradies als kaum zu durchdringenden Dschungel vorstellt, der so zugewachsen ist, dass man im Detail kaum noch etwas erkennt… Dann vielleicht. Aber was das Dialogmarketing eigentlich braucht, sind aufbereitete Daten, zusammengefasst zu einem vielschichtigen Profil, das verlässliche Rückschlüsse auf das zukünftige (Kauf-)Verhalten des Nutzers zulässt. Im Idealfall eine klare Wenn-Dann-Beziehung von Daten und Kauftransaktion. Und genau das verspricht die Marketing Automation.

Chancen durch Marketing Automation

Eine erfolgreich implementierte Marketing Automation stellt potentiellen Kunden zum idealen Zeitpunkt, auf dem vorab prognostizierten Gerät, über den idealen Kommunikationskanal das ideale Angebot für exakt den individuellen Kunden zusammen. Ziel ist also eine maßgeschneiderte Kommunikation mit dem (potenziellen) Kunden.
Relevante Streuverluste gehörten somit der Vergangenheit an. Die Komprimierung und Analyse riesiger Datenmengen, die uns i.A. zur Verfügung stehen, eröffnet uns Einsichten und exakte Prognosen des künftigen Verhaltens der Nutzer. Mittels des Remarketings sind wir in der Lage, nicht nur festzustellen, welche Wege den Kunden zu uns geführt hat, sondern auch zu prognostizieren, was diesen Weg hätte abkürzen können oder die abschließende Transaktion noch schneller oder mit einem höheren Wert versehen hätte.
Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, Marketing Automation bedeutet nicht, dass sich Marketing-Verantwortliche nun entspannt zurücklegen können und abwarten, wie das IT-System automatisch Zusammenhänge erkennt und entsprechende Kommunikationsstrategien ableitet und durchführt. Es bedeutet vielmehr, dass ein mindestens vergleichbarer Aufwand auf Sie wartet, mit anderen Schwerpunkten als wir es aus dem traditionellen Dialogmarketing kennen, aber sicherlich nicht minder komplex und herausfordernd.

Ziele erarbeiten und klar formulieren!

Damit später alle Beteiligten (und das sind nicht wenige) am selben Strang ziehen, ist es wichtig, im ersten Schritt eine klare Zielvorgabe für die angestrebte Marketing Automation zu formulieren. Auf den ersten Blick hört sich das einfach an: Klassische Zielvorgaben sind „höhere Umsätze“, „mehr Rendite“, „bessere Conversionrate“, u.v.m. Das ist alles richtig. Aber bedenken Sie: Die enorme Datenmenge bietet nicht nur gute Chancen, Ihr Online Dialogmarketing erfolgreicher und effektiver zu gestalten, es birgt auch die Gefahr, dass Sie sich verzetteln und auf einmal nach der eierlegenden Wollmichsau suchen. Fokussieren Sie sich und formulieren Sie Ihre Ziele ganz exakt, nur dann kann Marketing Automation Ihr Online Dialogmarketing weit nach vorn bringen.

Gründen Sie eine Task force

Es ist wichtig, dass Sie von Anfang alle Beteiligten ins Boot holen. Dies ist zum einen erforderlich, weil Marketing Automation den Input und das Know-how von Marketing, IT, Controlling, Kundendienst, Vertrieb, Retourenbearbeitung u.v.m. benötigt. Denn ein integriertes System kann nur funktionieren, wenn es auch tatsächlich interdisziplinär aufgestellt ist und alle Bereiche von Anfang involviert. Zum anderen, weil es nur funktionieren kann, wenn alle Abteilungen die anstehenden Anforderungen auch in ihren Workflow integrieren.

Grenzen der Marketing Automation

Sie ahnen es bestimmt: Aller Anfang ist schwer. Eine Marketing Automation in Ihr Dialogmarketing zu integrieren ist komplex. Im Rahmen der Datensichtung muss geprüft werden, ob alle relevanten Daten aktuell bereits erhoben werden. Wie lange diese Daten als relevant und aktuell eingestuft werden können usw.
Tasten Sie sich langsam an Ihre Marketing Automation heran. Die Möglichkeiten, die sich bieten sind nahezu unbegrenzt. Die Gefahr zu viel auf einmal zu wollen und dabei den Fokus zu verlieren, ist groß. Nehmen Sie sich zunächst ein klar definiertes Ziel heraus, eruieren Sie die entsprechenden Daten und setzen die Automation um. Setzen Sie sich nach Abschluss dieses ersten Projekts mit allen Beteiligten zusammen und überlegen sie gemeinsam, ob das angepeilte Ziel erreicht wurde oder was man hätte besser machen können. Erst dann nehmen Sie die zweite, ggf. etwas komplexere Automation in Angriff.

Schärfen Sie Ihre Sinne

Überlassen Sie den IT-Systemen nicht das Denken! Hinterfragen Sie die gesetzten Annahmen und Ziele ständig. Denn ob die erhöhten Retouren tatsächlich mit den erhöhten Conversionrates im SEA-Marketing zusammenhängen oder doch produktionsbedingt sind, kann nur eine fachkundige Analyse, unabhängig von der Automation ergeben.

Schießen Sie nicht über das Ziel hinaus!

Abschließend ein profan anmutender Rat: Halten Sie Ihre Kunden im Blick. Was tut sich in Ihrer Zielgruppe? Wie verändert sich deren Verhalten und auch Empfinden? Beispielsweise ändert sich das individuelle Empfinden bis zu welchem Grad Transparenz als angenehm („Oh, wie schön, hier wird ja direkt der Akku eingeblendet, nach dem ich später sowieso noch suchen wollte“) empfunden wird, manchmal schnell in ein starkes Unbehagen („Woher wissen die nun schon wieder, dass ich eine Weihnachtsreise plane? Und wenn die das wissen, wer weiß das noch“) umschlägt.
Denn wir müssen immer im Blick behalten, dass Datensammlung und –verwendung ein hoch emotionales Thema ist. Fühlt sich ein (potentieller) Kunde bei Ihnen unter Beobachtung oder hat er das Gefühl, mehr von sich preisgegeben zu haben, als er eigentlich wollte oder dass Datenschutz von Ihrem Unternehmen nicht ernst genommen wird, kann sich sein Kaufinteresse sehr schnell für lange Zeit erübrigen. Nicht alles was möglich ist, ist auch ratsam.
Jennifer Graßmann ist freiberufliche Autorin u.a. für Online Marketing Aktuell.